Geschichten
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Maschinenmensch

- Vergangen -

Leise Schmerzen durchziehen meinen Kopf, wenn ich weiter zuhöre, wie die Maschinen meinen Körper weiter am Leben erhalten. Es war mein Wunsch, so zu leben. Und sie meinen, daß ich vielleicht sogar, wenn ich die nächsten Jahre überleben würde, eines Tages wieder ohne sie leben könnte. Sie lügen, sie glauben nicht daran. Aber ich glaube noch daran, deswegen genieße ich jeden Schub frischer Luft, den die Maschine mit den Schläuchen, die Lungenmaschine, in mich hineinpumpt. Ist nicht Denken schon leben, genügt das nicht? Descartes machte das Sein nur vom Bewußtsein, vom Denken abhängig. Und ich denke viel, die ganze Zeit, auch wenn ich nicht mehr sprechen kann, nur noch sehen und ein wenig mit dem Kopf wackeln. Mir gegenüber ist ein Bild an der Tür, darunter ein Kalender. Ich kann sehen, wie die Zeit vergeht, weil jeden Tag, wenn sie mich besuchen kommen, einer von ihnen einen Tag auf dem Kalender durchstreicht. Wenn sie da sind, versuche ich immer angestrengt auf das Bild zu schauen, damit sie wissen, daß ich nicht sterben will. Das müssen sie wissen, denn ich bin ihnen schließlich ausgeliefert. Und es wäre kein angenehmer Gedanke, daß einer von ihnen, vielleicht gerade der, der immer so nett ist und den Kalender auf den neuesten Stand bringt, auf die Idee käme, an mir ein barmherziges Werk der Sterbehilfe zu verrichten. Auf dem Bild ist eine Wiese mit Blumen, darauf eine Familie mit Schirm, Mann, Frau und Kinder. Sie laufen durch ein Feld mit Mohn und anderen blühenden Pflanzen, vielleicht Glockenblumen, vielleicht auch nur Klee. Im Hintergrund erhebt sich ein schmaler Streifen düsteren Waldes. Düster, der Grüne, wenn er doch käme, selbst meine Seele würde ich verkaufen, um mit ihm, dem Teufel, wie ihn auch manche nennen, einen Pakt zu schließen, daß ich mich wieder erheben kann in die Welt, die ich so sehr vermisse.

Aber die Zeit vergeht und kein Wunder geschieht, wie es ja auch nicht zu erwarten war. Lächeln, Nicken, weißgekleidete, freundliche Gesichter und die schmuddelige Frau, die meine Ernährungsmaschine mit gelblichem Saft befüllt. Oh, doch, heute ist etwas neues geschehen. Ein junger Mann kam herein und schaute mich lange und ausgiebig an, sagte keinen Ton, doch lächelte mich geheimnisvoll und auch ein wenig überlegen an. Früher hätte ich ihn sofort niedergeschlagen, wenn er mich so angeglotzt hätte, unverschämt, doch heute kann ich das nicht mehr. Außerdem fange ich an, mich über jedes menschliche Gesicht zu freuen, das mich besucht. Wieso nicht auch dieses? Ich freue mich also recht leidlich und versuche, ihn in Erinnerung zu behalten, um ihm das nächste Mal, wenn er denn noch einmal kommt, wenigstens freundlich zuzublinzeln. Dann kommt er vielleicht wieder, wäre schön.

Heute ist er wiedergekommen, der Junge mit den schwarzen, langen Haaren und dem seltsamen Blick. Ich habe ihm sofort zugezwinkert, wie ich es vorbereitet hatte. Seine einzige Reaktion war ein leicht amüsiertes, leicht hämisches Grinsen. Mir ist klar, daß er merkt, daß ich ihn anbettele, er kennt die Macht, die er über mein schwaches Gemüt hat. Dennoch spüre ich in seinem Blick ein Gefühl der Verbundenheit mit mir. Ich weiß allerdings nicht, worin diese bestehen soll, doch ich bin mir sicher, daß wir irgend etwas miteinander teilen. Etwas Grundsätzliches. Er hat mich noch einmal angeschaut, meine Augen blickten ihn leer an und er durch sie hindurch, in mein tiefstes Inneres, meine Seele, hinein. Dann ging er wieder zurück dorthin, von wo er gekommen war. Und allein sein Bild blieb in meinem Kopf zurück.

Fast sind sie enttäuscht gewesen, die Weißkittel, weil ich es auch schien, als sie meine Zelle betraten. Der eine, der den Kalender immer verändert, schaute etwas traurig. Ich hatte natürlich auf meinen geheimnisvollen Freund gewartet, doch nun gab ich mir doch noch alle Mühe, die Gruppe für mich zu begeistern. Ich blinzelte, daß es eine Freude war und starrte noch ein paar Mal auf das alte Bild an der Türe. Da konnten sie wieder lächeln, wie gewöhnlich. Sachte plaudernd verließen sie mich wieder, beruhigt und zufrieden, doch sie verloren kein einziges Wort über den jungen Mann, der mich besucht hatte. Ob sie ihn wohl kennen? Die Schmuddelfrau mit dem Essen huschte kurz herein und wieder heraus. Wenn ich je umkommen sollte, werde ich sie vorher verfluchen, denn ich bin mir dann sicher, daß sie es war, die mir das tödliche Bakterium durch ihr schweißtriefendes Auftreten vermittelt hat.

Er war nur kurz da und hat mich mit etwas gestochen, das habe ich noch gespürt. Aber es hat nicht weh getan. Ich nehme an, er hat mich irgendwo gestochen, wo ich nichts mehr spüren kann. An einem Bein wahrscheinlich. Blut hat er mitgenommen, das fühle ich. Mein Blut. Ich spüre es sofort, wenn mir so etwas fehlt. Doch ich nehme es ihm nicht übel, wenn er bloß wiederkommt und als einziger mir gegenüber ein wahres, menschliches, ein ehrliches Gesicht zeigt. Ich bin es leid, jeden Tag von neuem das dauernde Lächeln und Liebtun der Weißen zu ertragen. Ich brauche auch ein Stück Bosheit in meiner Welt, damit ich die echte Welt nicht vergesse, um nicht in diesem Seifenblasendasein zu verblöden.

- Jetzt -

Die Tage wandern in meinem Bewußtsein vorwärts und der Junge hat sich nicht wieder gezeigt. War das alles, was er von mir wollte? Ein bißchen Blut? Sonst nichts? Ich fühle mich wieder weniger lebendig, ganz wie ein Faß, dem man etwas abgezapft hat und das nun leer ist und irgendwo zerschlagen auf einer Müllkippe verwest. Die Weißen merken das auch und sie diskutieren immer öfter, ob sie mich nicht 'abschalten' sollen, wie sie es nennen. Doch von Zeit zu Zeit zwinge ich mich dann, eine glänzende Zuversicht auszustrahlen, so daß sie wieder völlig umgestimmt werden. Und der Kalendermann ist so oder so immer dagegen. Ich lebe, doch ich lebe nicht mehr. Es ist, als ob der Junge mit den schwarzen Haaren ein Stück meines Willens mitgenommen hat, meines Willens, alles zu überleben, wie unwürdig und wie... langweilig es auch immer sein mag. Ich ergebe mich wieder dankbar in die Hände der wechselnden Schmerzen, die mich so heftig spüren lassen, daß ich lebe. Ich durchwühle das Labyrinth, um immer neue Arten von ihnen kennenzulernen und mich an ihnen zu erfreuen. Sie sind das einzige, was mir noch an Empfindung, an Überraschung, geblieben ist. Und egal, wie sehr sie mich quälen, die Maschinen kennen kein Erbarmen mit meinem zuckenden Körper und treiben ihn weiter durchs Leben, wie ich es will. Es hat wohl niemand außer mir je solche Schmerzen erlitten, ohne nicht zu sterben. Mit diesem Bewußtsein halte ich mich an meinem letzten Rest an Existenz in dieser Welt fest. Bis zu dem Tag, an dem...


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