Vernetzte
soziale Gruppen und ihr Sprachverhalten
(untersucht
am Beispiel des Chats)
(1)
Abschottungstendenzen
sozialer Gruppen durch Insiderwissen
(2)
Diametral
entgegengesetzt: Ein hoher Grad an „Populationsfluktuation“ in demselben Umfeld
(3)
Der
Druck, schriftliche Sprache schnell und „quasi-mündlich“ zu präsentieren
All diese Faktoren führen zu Sprachwandel. Welche Einflüsse sie haben und welche Ergebnisse der Sprachwandel zeitigt, ist Gegenstand dieser empirischen Untersuchung. Außerdem zeigt die Untersuchung einen starken sozialen Zusammenhalt unter Stammchattern.
Seminar: Netzliteratur, Netzkunst, Netzwissenschaft
Wintersemester 2000-2001
Dozent: Dr.
Reinhold Grether
Referent: Eike-Nils
Hinner
Text: Hausarbeit
I.
Der Fragebogen
Der
Fragebogen hatte das Ziel, typische Eigenheiten einer Gruppe festzustellen, die
ich im folgenden „Stammchatter“ nennen werde. Stammchatter sind
Personen, die bereits begonnen haben, sich ein soziales Umfeld im Chat zu
schaffen und die meist täglich im Chat sind, oft eine Stunde oder länger. Die
Chatter wurden darin aufgefordert, Informationen über ihr eigenes Verhalten
preiszugeben, sowie das Verhalten anderer zu beurteilen. Ausserdem wurde ihre
persönliche Einstellung zum Chatten und zum Übergreifen des Chats in ihre
non-virtuelle Realität erfasst. Die Untersuchungen fanden vor allem im
Chatportal Chatcity statt.
Fragenkatalog:
58 Fragen an 17 'Stammchatter'
Chatname:
Chat'about':
Zur
Person:
Wie
alt sind sie?
Geschlecht?
Beruf/Ausbildung?
ca.
Einkommen?
Hobbies?
Netznutzung:
Wieviel
h verbringen Sie ca / Tag online? <1/1-2/2-3/3+
Zu
welchen Uhrzeiten? morgens/mittags/abends/nachts
Wieviele
davon im Chat? <1/1-2/2-3/3+
Wieviele
heute im Chat? <1/1-2/2-3/3+
Zu
welchen Uhrzeiten? morgens/mittags/abends/nachts
Was
außer Chatten tun Sie im Netz?
MP3/Bilder/Newsgroups/Homepage/Information/Beruf/Investment/Shopping
In
welchen Netzgemeinschaften sind sie sonst noch aktiv?
Zur
virtuellen Identität:
Warum
haben sie diesen Namen gewählt?
Warum
dieses about?
Wie
viele andere Namen haben/hatten Sie ca?
Beispiele
für diese Namen in etwa?
Zu
den Gründen für die virtuelle Identität:
Warum
chatten Sie?
Was
fasziniert Sie im Chat am meisten?
Was
ärgert Sie am meisten?
Wozu
und wie nutzen sie den Chat? zB Sepschmusen / Philosophie / Austausch /
Kommunikation mit weit Entfernten / Kneipenersatz
Über
die virtuelle Identität:
Was
wollen Sie durch ihr Chatten erleben, was Sie in der Realität nur schwer
erleben können?
Gibt
es Seiten von Ihnen, die Sie nur im Netz zeigen?
Welche?
Warum
diese nicht in der Realität? (Schüchtern/Gesellschaftl Ächtung/Angst vor
Entdeckung/Nicht reales So-Sein/Sehnsucht nach folgenlosem Ausprobieren?)
Haben
Sie sich schon virtuell Wünsche erfüllt, die sie in der Realität nicht
erreichen können/wollen?
Welche?
Welche
persönlichen Daten geben Sie im Chat an?
Wie
ehrlich sind Sie dabei?
Über
das Verhalten anderer:
Welche
'Art' von ChatterInnen mögen Sie am liebsten?
Was
kennzeichnet diese Art?
Welche
'Art' von ChatterInnen mögen Sie am wenigsten?
Was
kennzeichnet diese Art?
Welche
Wünsche versuchen sich andere Ihrer Meinung nach im Netz zu erfüllen?
Wieviel
% sind dies ca. je?
Sind
andere Ihnen gegenüber ehrlich bezügl. persönlicher Angaben?
Wieviel
% sind dies ca.? (-25/-50/-75/75+)
Über
den Bezug zur Realität:
Kennen
Sie einige 'MitChatter' persönlich?
Wie
viele?
Was
haben sie schon mit ihnen gemacht? ICQ/EMail/Briefe/Treffen/jew (Ex)Beziehung
j/n
Haben
sie Online-Beziehungen?
Haben
diese reale Vorbilder? Ehe/Verlobung/Bund/Freundschaft?
Wie
viele haben sie ca. je?
Was
sehen Sie als den Hauptunterschied diesbezüglich von Realität und Netz an?
Was
fiel Ihnen dabei besonders bei anderen auf?
Was
bei Ihnen selbst?
Über
die Probleme mit einer virtuellen Identität:
Haben
Sie manchmal Probleme bezüglich Ihrer virtuellen Identität?
Welche?
Glauben
Sie, daß Sie zu viele Stunden im Netz verbringen?
Warum?
Glauben
Sie, daß Sie zu wenige Stunden im Netz verbringen können?
Warum?
Wie
viele Stunden würden sie gerne täglich im Netz/Chat verbringen?
Über
die Zukunft:
Wie
wird sich voraussichtlich Ihre Zukunft entwickeln?
Was
für Wünsche haben Sie dahingehend?
Wie
wird sich die Zukunft des Chats entwickeln?
Aus
Gründen des Datenschutzes werde ich, wenn ich einzelne Fragebögen zitiere, nie
die richtigen Chatnamen der Chatter angeben, sondern ein Alias.
Die Statistik, teilweise wurde einiges zusammengefasst.
Zur
Person:
Wie
alt sind sie? 21,5 Jahre
Geschlecht?
männlich: 41,2%; weiblich: 58,8%
Beruf/Ausbildung?
Schüler / Studenten / Zivis+Wehrdienstler / Bürobereich / Erziehungsbereich
/ Chemiker
ca.
Einkommen? bei den angegebenen Gehältern ca. 434,23 DM
(Auch
Taschengeld berücksichtigt)
Hobbyskala
Chatten bei 100%
(logisch)
Lesen 50
%
Ausgehen + Freunde 43,8%
Musik (hören) 37,5%
Sport 37,5%
Kreatives (Musik machen, schreiben, malen, etc..) 37,5%
sonstige Computergebundene Tätigkeiten 37,5%
sonstige Internetgebundene Tätigkeiten 31,3%
Spiele (Rollenspiele) 6,3 %
Netznutzung:
Wieviel
h verbringen Sie ca / Tag online? 3,63 Std.
Zu
welchen Uhrzeiten? morgens/mittags/abends/nachts
morgens
12,5%
mittags
31,25%
nachmittags
37,5%
abends
62,5%
nachts
43,75
%
unterschiedlich
18,8%
Wieviele
davon im Chat? 2,41 Std.
Wieviele
heute im Chat? 1 Std.
Zu
welchen Uhrzeiten? Wurde gleich ausgefüllt, wie oben...
Was
außer Chatten tun Sie im Netz?
mp3 68,8%
Information 56,3%
HP 43,8%
Bilder 37,5%
Shopping 18,8%
Investment 18,8%
newsgroups 12,5%
Hacken
etc. 12,5%
Beratung 6,3%
Handy.. 6,3%
In
welchen Netzgemeinschaften sind sie sonst noch aktiv?
newsgroups
meinungsforum
ciao
Chattergemeinschaften:
z.B. Räuberwald und Zauberwald
Diese Nennungen bei 40% der Befragten.
Durchschnittliche
Ausgaben fürs Netz pro Monat:
85,94
DM (meist flatrates oder Uni-Zugänge)
Durchschnittlich
gab es oft Zeiten, in denen die User mehr chatteten, dies waren dann täglich
ca. 4,5 Stunden. (2,4)
Zur
virtuellen Identität:
Bei
den Namen und abouts, die häufig an bekannte mythische Gestalten angelehnt
waren, ergab sich, dass
der
Name entweder ein diesbezügliches Zitat darstellt, oder die Äußerlichkeiten und
die Persönlichkeit des Chatters darstellen sollte
das
about entweder als chatinterner Scherz gedacht war, oder aber (in der Mehrzahl)
die Lebenseinstellung der Chatter widerspiegelte
Lieblingschaträume
waren kleingehaltene Themenchannels in chatcity.de. Diese Chaträume sind in der
Teilnehmerzahl meist auf 32 Chatter begrenzt. Namen z.B.: Trauminsel,
Räuberwald, Elfenhain, ...
Der
Grund dafür war einhellig, dass dort die Leute sind, die angenehm für
Unterhaltungen sind und dass dort die Freunde sind, die man schon länger kennt.
Die
durchschnittliche Anzahl von Namen pro Chatter ergab ca. 4,6 Namen, wobei die
Mehrzahl 2-3 (auch 4) Namen hatte und es einzelne Spitzen gab (8 und 20 Namen).
Die
Gründe der virtuellen Identität:
Schwer,
das statistisch anzugeben, da keine übereinstimmenden Gründe genannt wurden.
Jedoch kann man davon ausgehen, dass die Rangfolge in etwa ist (Analyse des
Geschriebenen):
Spass
Freunde
im Chat
Neugier
und Kennenlernen neuer Menschen
Sucht
Langeweile
und Zeitvertreib
Anonymität
Das
sind die Gründe, aus denen heraus die virtuelle Identität erhalten wird.
Die
Faszination des Chattens wurde vor allem so erklärt:
unkompliziertes
Kennenlernen
keine
Vorurteile vor allem äußerlicher Art
Verhalten
der anderen Chatter interessant (Beobachtung)
In
dieser Rangfolge wurden in etwa diese Dinge genannt.
Worüber
ärgert man sich am meisten beim Chatten? Eine klare Sache, meist über
andere,
aufdringliche Chatter (ca. 80%)
und,
weit abgeschlagen: technische Probleme (der Rest)
Die
Funktionen, die der Chat im Leben der jewlg. Personen übernimmt, waren:
Kommunikation
mit weit Entfernten 100%
Täglicher
Austausch 81%
Philosophische
Gespräche 63%
Langeweile
und Zeitvertreib 50%
Kneipenersatz 44%
Cybersex 31%
Über
Chatsprache und Chatkommunikation:
Durchschnittlich
kennen die Chatter etwa 35 soziale Aktionen, die sie ständig verwenden,
darunter
emoticons
( ;o) / :-) / ;-) / ;) / :-( / :o[ / ...) - smileys und andere
Gesichtsausdrücke
Abkürzungen
von Aktionen, meist aus dem Englischen:
lol
= laugh out loud
rotfl
bzw. rofl = rolling on the floor laughing
Generelle
Abkürzungen als Hinweise:
afk
= away from keyboard
mompl
= moment please
brb
= be right back
immo
= im Moment
re
= Begrüssung eines Chatters, der wiederkommt bzw. Antwort auf Grüsse und
Aktionen
Normale
soziale Aktionen:
k
oder knuddeln = virtuelles Schulterklopfen, umarmen, etc
(dort
auch: reknuddeln: auf das Knuddeln ansprechen, zurückknuddeln)
knuffen
= auf die Schulter klopfen o.ä.
dengeln
= schubsen
g
oder grins = grinsen
fg
= freches grinsen
pfroi
= sich freuen
und
andere, oft comic-artige Aussagen: seufz, stöhn, erschöpft sei, lach, ...
Gibt
es Ausdrücke, die nur in wenigen Chaträumen geläufig sind bzw. ganze Dialekte?
Diese
Fragen wurden einheitlich entweder mit ja/ja oder nein/nein beantwortet und
werden deswegen zusammengefasst.
ja
sagten 44%
manchmal
(bei beiden Fragen) 31%
nein
meinten 25%
Interessant:
die nein-Stimmen kommen von öfter den Channel wechselnden Chattern, die also kaum
mehr als Stammchatter anzusehen sind. Die meisten manchmal- oder ja-Sager
führten auch konkrete Beispiele an, z.B. kkkk (mehrfach genannt), eine
Abkürzung vieler sozialer Aktionen zusammen (knuddeln + knuffen + knutschen +
kitzeln oder ähnliches) oder auf das Insiderwissen, das in kleinen Channels bei
einer eingeschworenen Chatgemeinde oft entsteht und das von Neuankömmlingen
nicht oder nicht sofort verstanden wird.
Das
Verhalten gegenüber Neuankömmlingen wurde als meist kühl und ablehnend
beschrieben (63%), oder als Antwort auf deren Verhalten, das meist schlecht
sei, manchmal aber auch freundlich (37%). Begründet wurde dies dadurch, dass
sich feste Gruppen ja so auch in der Realität verhalten würden, um ihre
gemeinsame Identität zu schützen.
Über
die eigene virtuelle Realität:
Die
große Mehrzahl der Befragten gab an, nichts im Chatten zu finden oder zu
suchen, was in der Realität nur schwer erlebbar sei. Einige wenige suchten dort
„wahre“ Freundschaft bzw. Liebe.
Die
meisten gaben deswegen auch keine ‚anderen’ Seiten von sich an. Manche
allerdings gaben an, ihre Gefühle mehr zu zeigen als in der realen Welt. Daher
waren die Gründe dafür auch meist nicht angegeben bzw. Schüchternheit. Bei den
‚unerfüllten Wünschen’ meinte ebenfalls die grosse Mehrzahl nein. Es gab nur
wenige Einzelnennungen, die in Richtung Liebesbeziehungen tendierten.
Die
persönlichen Daten geben fast alle an, entweder Leuten, die sie schon kennen,
oder Leuten, die ihnen sympathisch, ‚ehrlich’ erscheinen. Sie sind dabei sehr
ehrlich. Oft wird allerdings nicht die Telefonnummer angegeben und auch nicht
die exakte Adresse, meist auch nur der Vorname, da es diesbezüglich schon
schlechte Erfahrungen gegeben hat. Sonst werden alle Daten angegeben, die
gefragt werden.
Über
das Verhalten anderer:
Am
liebsten sind den Chattern die Leute, die ihnen persönlich sympathisch sind,
das sind meist nette, unkomplizierte und ehrliche Menschen, die nicht
aufdringlich sein sollen und ‚Chatiquette’ (höfliches Verhalten im Chat) und
Bildung besitzen.
Am
wenigsten mögen die Chatter ‚touris’ (Chattouristen, die von Channel zu Channel
springen), die dann die unbeliebten w-w-w-Fragen stellen (woher, wie alt,
männlich/weiblich?, ...) oder aufdringlich sind, besonders politisch oder
sexuell.
Wünsche
anderer Chatter: Die Chatter nehmen an, dass je ungefähr gleich viele andere
Chatter sich vor allem sexuelle Wünsche erfüllen, Selbstbewusstsein gewinnen
wollen und ihre Realität mit dem Chatten verdrängen wollen. Dies wird
allerdings nur etwa der Hälfte der anderen Chatter zugetraut, die andere Hälfte
sei ‚nur zum Spass’ im Netz, wie die Chatter sich auch grösstenteils selbst
einschätzen.
Die
Ehrlichkeit der ‚anderen Chatter’ wird bei Freunden und Bekannten sehr hoch
eingeschätzt: 75-100%, die Ehrlichkeit eines zufälligen Chatters überschreitet
immer noch deutlich die 50%-Marke. Es wird davon ausgegangen, dass die meisten
anderen im Chat ehrlich sind, wie man selbst.
Über
den Bezug zur Realität:
Es
gibt viele Verknüpfungen von Stammchattern mit der Realität. Durchschnittlich
kennen sie 23 (!) andere Chatter in der Realität und haben sie auch schon
gesehen (Chattertreffen).
Die
Interaktionen zwischen den Chattern finden lebhaft auf elektronischer Ebene,
aber auch sehr lebhaft real statt, nämlich folgendermaßen:
Chattertreffen
80%
(!!)
EMail 73%
(hier
in etwa Telefonnutzung, spätere Blitzumfrage) 60-80%
ICQ
- ein Instant-Messaging Programm (wann sind Freunde online) 60%
Briefe 53%
(Ex-)Beziehung 40%
(!!)
Man
sieht die ungeheure Bedeutung von Chattertreffen für den Chat als soziale
Gruppe. Wer noch nicht dort gewesen ist, gehört auch nicht ‚richtig’ dazu -
jedenfalls nicht so sehr, wie rein ‚virtuelle’ Leute. Die Realität ist eben
doch sehr stark. Chatter kommen sich ebenfalls recht schnell näher, wie der
hohe Anteil an Beziehungen (bzw. Ex-Beziehungen) zwischen den Chattern zeigt.
Trotz - oder gerade wegen - der anfänglichen Anonymität.
Haben
sie Online-Beziehungen - wie viele wurde nicht angegeben, aber viele Leute
nehmen an, dass sie keine haben (31%), eine andere Gruppe (38%), die grösser
ist, sagt, sie hat welche. Der Rest machte hier keine Angaben, bzw. wollte dazu
keine Angaben machen.
Interessanterweise
haben viele Online-Beziehungen reale Vorbilder: Beliebt sind Ehe und
Freundschaften, sowie Verlobung, aber vor allem: Familie. Es gibt ganze
Stammbäume einzelner Stammchatterchannels. Es werden reale Familien
nachgebildet: Söhne, Töchter, Cousinen, etc.. etc.. (LINKS)
Die
meisten sehen keinen Unterschied zwischen Netz und Realität (um die Hälfte).
Dies wird von Einzelaussagen skandiert, die jeweils meinen, das Netz sei ‚etwas
völlig anderes als die Realität’. Andere sagen, es wäre offener, Gefühle
könnten leichter ausgedrückt werden und es gebe weniger Hemmungen. Es ist
‚lockerer’, ungezwungener, Partner wechseln auch schneller bei Unzufriedenheit.
All das kann wohl mit der Anonymität in Verbindung gebracht werden, die es hier
scheinbar leichter macht, auf die eigenen Gefühle einzugehen.
Am
Ende gab es noch Nennungen, die das ganze als ‚rein schriftliche Phantasiewelt’
und ‚Rollenspielwelt’ sahen. Die Realität ist aber letzten Endes wohl
individuell bestimmt.
Nur
einer stellte eine Auffälligkeit bei sich selbst fest: Man bleibt länger und
länger Online, je mehr Spass es macht. Wohl eine Art Suchtverhalten, die selbst
festgestellt wurde.
Über
die Probleme mit der virtuellen Identität:
71%
sagten hier „nein“, den anderen fehlte entweder realer Kontakt oder das reale
Leben oder die Rolle im Chat wurde als zu festgelegt empfunden(!).
Amüsant
war die Auswertung des Glaubens an zu viele bzw. zu wenige Stunden im Netz. Die
Mehrzahl gab an, dass sie zu viele Stunden im Netz verbrächten, gleichzeitig
aber viele, dass es zu wenige wären. Die meisten meinten: zu viele, weil dies die
Realität zu sehr vernachlässigen würde, aber gleichzeitig: zu wenige, weil sie
nie genug davon kriegen würden. Etwa ein Drittel war zufrieden mit der
aktuellen Situation. Der durchschnittlich erwünschte Konsum blieb meist
unbeantwortet, es gab aber Antworten wie ‚mehr’ und ‚es ist so in Ordnung’ und
auch einige, wenig repräsentative Stundenangaben wie ‚den ganzen
Tag’(offensichtlich selbstironisch gemeint, da kommentiert).
Über
die Zukunft:
Aufgrund
der Altersstruktur gaben hier viele an: Abitur und Zivil/Wehrdienst, sowie
Studium. Nur wenig wurde die Ausbildung genannt, was erneut auf den hohen
Bildungsstandard hinweist, der bei Stammchattern vorhanden zu sein scheint. Bei
den Wünschen standen Beziehungen und, aber weniger, persönliches Glück im Vordergrund,
was alles in allem zeigt, dass Chatter wohl vor allem ein Singledasein führen.
Über
die Zukunft des Chats wurden düstere Prophezeihungen gemacht, nämlich, dass die
Anzahl der Chatter mit niedrigem Bildungsstandard weiter zunehmen werde, was
keinen Gefallen fand. Dies schlug sich auch in den Wünschen nieder: Einige
wünschten sich, diese ‚Neuchatter’ aus ihrer Gemeinschaft ausschliessen zu
können, z.B. mit Passwortschutz. Ebenfalls ganz oben stand der Wunsch nach
weniger technischen Problemen, von denen der Chat oft heimgesucht wird.
Bei
den Chattern, die wenige Real-Beziehungen zu anderen Chattern angegeben hatten,
wurden mehr persönliche Beziehungen mit Chattern in der Chat-Zukunft gewünscht.
Etwas, das sicherlich auch noch zu den obigen persönlichen Zukunftswünschen,
der Sehnsucht nach mehr Sozialleben oder Beziehungen gepasst hätte.
II.
Einige
Folgerungen
Was man aus dieser Statistik herleiten
kann ist natürlich nur eine Ahnung von dem, was im Chat vorgeht, vor allem weil es
heutzutage immer schwieriger wird, Fragebögen beantwortet zurückzubekommen.
Einmal abgesehen davon, dass die Statistik nicht repräsentativ ist, liefert sie
dennoch einige interessante Informationen über Leute, die ich als
‚Stammchatter’ definiert habe.
A: Die sozialen Aspekte des Chats
1. Das Netz bzw. der Chat ist zu einem
festen Teil des Lebens eines Stammchatters geworden
Wenn man für Tätigkeiten wie Schlafen und
Essen und ähnliches eine Zeit von insgesamt 11 Stunden zum Maßstab nimmt,
bleiben 13 Stunden übrig. Von diesen 13 Stunden verbringt die untersuchte
Gruppe der Stammchatter durchschnittlich über 3 Stunden im Netz. Das sind in
etwa 28% ihrer verfügbaren Zeit, etwa 2/3 davon verbringen sie im Chat, ca. 2 ½
Stunden, also etwa 19% ihrer verfügbaren Zeit. Wenn man noch Tätigkeiten wie
Arbeit und/oder Schule von den verfügbaren Stunden abzieht und dafür etwa 8
Stunden inklusive Transport als Maßstab nimmt, ergeben sich noch 5 Stunden
Freizeit am Tag. Die Hälfte davon wird im Chat verbracht, ein weiterer Teil im
Netz, es bleiben nur noch knapp 2 Stunden für Hobbies.
Das Netz und vor allem der Chat beherrscht also
einen Großteil des Lebens der Stammchatter. Es ist ihnen das liebste Hobby
geworden. Umso mehr, als sie, wenn sie die Chance dazu erhalten, ihren
Chatkonsum am liebsten auf deutlich über 4 Stunden ausdehnen (etwa an
Wochenenden oder in den Ferien). In den Zeiten, in denen es objektiv nicht
möglich ist, so viel zu chatten, wird das oft dadurch ermöglicht, dass die
Schlafenszeit deutlich reduziert wird, um mehr Zeit zur Verfügung zu haben.
Dass es nicht deutlich mehr als 4 Stunden ist, lässt wiederum den Schluss zu,
dass der Chat nicht etwa das ‚liebste Hobby’ geworden ist, sondern so etwas wie
eine tägliche Gewohnheitstätigkeit, wie z.B. Fernsehen oder - Leute treffen. Der
Chat scheint tendenziell das Fernsehen zu verdrängen, denn es wird zur gleichen
Zeit gechattet, zu der normalerweise Ferngesehen wird (nämlich meist abends).
Der Chat gehört zum Leben der Stammchatter wie Essen und Schlafen, er ist eine
tägliche, feste Größe geworden, für die in etwa 10% der 24 Stunden eines Tages
reserviert sind. Es wird als störend empfunden, einmal einen Tag nicht
gechattet zu haben, daher diagnostizieren viele bei sich selbst auch eine Art
Suchtverhalten, haben aber keinen Ansporn, aus dieser Sucht auszubrechen,
sondern nehmen sie zum Grund, den Chat ab und zu länger auszudehnen.
2. Stammchatter sind relativ gesehen
gebildeter als der Bevölkerungsdurchschnitt
Aus der Hobbyskala, bei der Lesen (nach
Chatten) ganz oben steht, geht hervor, dass für Stammchatter Bildung relativ
wichtig ist. Auch kreative Tätigkeiten werden bei ihnen großgeschrieben, obwohl
der Chat allein schon viel Zeit verbraucht. Dies wird zusätzlich untermauert
durch die Berufsskala, aus der hervorgeht, dass Stammchatter vor allem in
Berufen tätig sind, die das Abitur erfordern, bzw. dass sie studieren oder auf
das Gymnasium gehen. Auch bei der persönlichen Zukunftsplanung sind oft Sachen
wie „Abitur“ oder „Studium“ angegeben. Etwas, das Bildung erfordert.
Auch bei der Internet- und Chatnutzung
ergeben sich Präferenzen für Bildung. Das Netz wird oft für Information
benutzt, weniger für (Porno-)Bilder, der Chat relativ wenig für Cybersex und
Partnerfindung. Mehr für ‚philosophische’ - zumindest ernstere - Gespräche, die
in großen Channels unmöglich sind. Noch dazu werden andere Chatter
(Gelegenheitschatter), die durch die Channels springen und Partner suchen, als
das ärgerlichste festgestellt, was einem im Chat begegnen kann. Dies weist
darauf hin, dass Stammchatter nicht nur Bildung als Wert ansehen, sondern auch
bildungsfernes Verhalten negativ sanktionieren. Ein Gefühl einer Elite, deren
Werte vor allem von Bildung und Vernunft, sowie der sogenannten ‚Chatiquette’
geprägt sind, scheint die Stammchatter als Gruppe zu verbinden.
3. Stammchatter bilden teilweise wenig
aufgeschlossene soziale Gruppen mit Insiderwissen
Die Untersuchung zeigt, dass eine Gruppe
von Stammchattern im Regelfall erst einmal abwartet, wie sich Neuankömmlinge
verhalten und ihnen bis dahin kühl bis ignorant begegnet. Es bedarf eines hohen
Levels an Durchhaltevermögen und Höflichkeit, um in eine festgefügte Gruppe an
Chattern aufgenommen zu werden, umso mehr, als es einige gibt, die sich einen
Spass daraus machen, Neuankömmlinge in die Irre zu führen oder zu verjagen,
wenn sie sich nicht voll und ganz gruppenkonform verhalten. Gekennzeichnet sind
die Chattergruppen nicht nur durch ihren großen Zusammenhalt, der teilweise
auch durch eigene Ausdrucksweisen (Dialekte) bewirkt wird, sondern vor allem durch
ihr immenses Insiderwissen um ‚virtuelle Objekte’, die in den kleinen
Themenchannels existieren. Zum Beispiel gibt es in manchen eine virtuelle Bar
oder ein traditionelles Lagerfeuer oder einen See, der nahtlos in die virtuelle
Konversation aufgenommen wird, wenn sie aus normaler Konversation in die
Nachahmung einer Bewegung in einem virtuellen Raum übergehen. Teilweise
entwickeln sich auch Bräuche in den einzelnen Channels. In einem (RaeuberWald in Chatcity.de) war es zumindest eine Zeit lang
Sitte, dass, wenn man an der Spitze der Chatterliste stand (also die meiste
Zeit ununterbrochen im Chat verbracht hatte), eine sogenannte ‚Polerunde’
virtueller Getränke auszugeben, die dann jedem Chatter, der etwas davon wollte,
selbst eingeschenkt werden musste. Diese Bräuche gehören dann zum ‚guten Ton’
im Channel.
Oben habe ich bereits beschrieben, dass
sich Stammchatter als eine Art Elite gegenüber ‚normalen’ Chattern verstehen.
Die geschilderten Verhaltensweisen tragen dazu bei, eine Art virtuellen
Kulturkodex entstehen zu lassen, der es noch einfacher macht, sich als diese
Elite zu fühlen. Einfach aufgrund des Insiderwissens, das die Stammchatter den
Neuankömmlingen voraus haben. Bezeichnend für dieses Elitegefühl ist auch, dass
sich viele Stammchatter davor fürchten, dass der Chat zu einem Medium der
‚Gelegenheitschatter’ ‚verkommen’ könnte. Stammchatter stellen auch eher das
Verhalten anderer, als das eigene, in Frage.
Der Zusammenhalt der Chattergruppe wird
weiter gestärkt durch eine durchschnittlich relativ hohe Zahl an persönlichen
Bekanntschaften untereinander (über 20! Personen durchschnittlich pro
Stammchatter), die meist aus Chattertreffen resultieren und zur Vermehrung
des Insiderwissens beitragen. Viele abouts, die scherzhaft gemeint sind,
beziehen sich auf das Insiderwissen im Channel oder sind (was noch häufiger
ist) auf Chattertreffen selbst entstanden. Neben einer hohen elektronischen
(Chat, Instant Messaging) und traditionellen (Telefon, Brief) Kommunikationsdichte
gibt es zudem ein intimes Beziehungsgeflecht der Chatter untereinander.
Fast die Hälfte hatte schon eine (Liebes-)Beziehung miteinander bzw. haben sie noch -
und zwar nicht im Chat, wo das auch relativ häufig ist, wenn auch etwas weniger
als real - sondern in der Realität. Dies alles festigt die Tendenz zum
Lieblingschannel, der aufgrund der Dichte seiner Kommunikationsmöglichkeiten
bevorzugt aufgesucht wird. Faszinierend allerdings finden die
meisten immer noch das unkomplizierte Kennenlernen neuer Menschen - eigentlich
paradox, wenn sie wegen alter Bekannter wiederkommen - oder doch nicht? Versuchen
sie vielleicht zum Teil nur, das gewaltige Insiderwissen im Channel weiter zu
erforschen und Chatter, die sich gleichfalls dort - jedoch zu anderen
Tageszeiten - aufhalten, kennenzulernen?
Bei einer solchen Verflechtungsdichte der
Chatter untereinander ist es nicht verwunderlich, dass es für Neuankömmlinge
schwierig ist, in diese relativ feste soziale Gruppe einzudringen und ihr
Insiderwissen zu teilen. (Siehe auch das Beispiel weiter unten)
4. Doch keine sozialen Gruppen?
Klaus Schönberger vertritt in
Der
Mensch als Maschine (I):
Flexibilisierung
der Subjekte und Härtnäckigkeit des Technikdeterminismus
diese Meinung:
„...II.:
Auch die folgenden Forschungsergebnisse (ausführlicher vgl. Schönberger 2000)
unterstreichen die Notwendigkeit, die technik- bzw. medienzentrierte
Perspektive aufzugeben:
1. Im
Netz wird dasselbe Leben geführt wie im `real life'. IuN dienen nicht zum Knüpfen
neuer Bekanntschaften oder zur Überschreitung bestehender Horizonte (Beruf,
Hobby). Deshalb ist Hoffnungen auf neue Menschen (»netizens«) oder Beziehungen
(»virtual communities«) der Befund entgegenzuhalten, dass der Aufbau neuer und
andersartiger Kontakte eine untergeordnete Rolle spielt. So brach
beispielsweise eine Nutzerin, die eigentlich »neue Menschen kennenlernen«
wollte, den Kontakt in dem Moment ab, als ihr Gesprächspartner sich als
elfjähriger Junge zu erkennen gab. Hier ermöglichten die technisch reduzierten
Kanäle im Chat zwar die Überschreitung einer Altersgrenze. Aber angesichts der
im `real life' geltenden sozialen und kommunikativen Alterssegregation, die
meist lediglich im Rahmen von Verwandtschaft punktuell bzw. legitimerweise
aufgebrochen wird, wurde das bis dahin als »spannend« erlebte Gespräch für die
22jährige Frau wertlos, so dass sie es beendete. Das Gros begibt sich aber erst
gar nicht in eine solche Situation, weil es grundsätzlich nicht erstrebenswert
erscheint, Beziehungen zu Personen aufzunehmen, die ein anderes Sozialprofil
(Geschlecht, Alter, Beruf, soziale Herkunft) haben, als die jeweils eigenen
BeziehungspartnerInnen im `real life'. Umgekehrt ist festzustellen, dass IuN im
privaten sozialen Nahbereich vor allem zur Intensivierung bereits bestehender
Beziehungen eingesetzt werden, oder dass sie zur virtuellen Re-Integration
solcher Beziehungen dienen, die beispielsweise durch räumliche Entfernung oder
andere Zeitrhythmen auseinanderzubrechen drohen.“
Unsere Untersuchung legt nahe, dass Schönbergers
Befund hauptsächlich auf die große Masse der Gelegenheitschatter zutrifft, die nur
Kontakte für das „real life“ suchen. Aus diesen können naturgemäß keine
>>netizens<< werden, weil sie sich keine eigene, starke, virtuelle
Identität bilden oder bilden wollen. Bei Stammchattern allerdings sieht, wie
die Untersuchung gezeigt hat, die Realität ganz anders aus. Sie bilden sowohl
im Netz, als auch ausserhalb des Netzes soziale Gruppen, die darauf aus sind,
sich gegenseitig kennenzulernen. Es erscheint bei ihnen sehr wohl
erstrebenswert, Beziehungen zu Personen von häufig anderer Art aufzunehmen, das
zeigt die hohe Zahl an Bekanntschaften und Freundschaften der ChatterInnen
untereinander.
5. Eine deutliche Meinung
pro soziale Gruppen, allerdings bei MUDs,
vertritt Jeffrey R. Young (jryoung@phoenix.Princeton.EDU)
Textuality
in Cyberspace: Muds and Written Experience
(Auszug aus der Einführung)
"It's not the shock of recognition," a Wired magazine reporter wrote after experiencing MUD, "it's the shock of communication. The organic sensation that you're connected to people evaporates from
the printed page" (Quittner, 93) but is alive on MUD. This novel
form of communication appeals to a basic desire to connect directly
with others. There is no other medium that allows so many people to
interact remotely in a common 'space.' But if merely interaction
was the goal, why would people choose this mode of personal
gathering over face-to-face encounters? The answer lies in looking
at how this new interaction is structured -- its MEDIUM (the
computer), FORM OF LANGUAGE, and CONCEPTUAL FRAMEWORK -- to see why
networking on MUDs forms a new type of community: one which allows
people to negotiate a strong sense of self and individuality while
participating in public space."
Er ist davon überzeugt, dass in MUDs, wie
in vielen textuellen virtuellen Welten ein eigenes soziales Leben entsteht, das
durch das Kommunikationsmedium, seine eigene Sprache und sein Konzept
gekennzeichnet ist. Der „shock of communication“ - der positive Schock - hält
viele Leute auch weiterhin in solchen textbasierten Welten fest, weil sie dort
Leute treffen und, weil es einfach lebt - „(it..) is alive“ - und eine eigene
Form von Individualität in diesen neuen Gruppen entsteht („a strong sense of
self and individuality while participating in public space“). Aufgrund der
hohen Dichte und grossen Konsequenz an Kommunikationssträngen, die in
‚Stammchatterchannels’ vorherrscht, kann man davon ausgehen, dass diese
Erkenntnis auch auf sie zutrifft.
B: Die sprachlichen Aspekte des Chats
(inklusive der Beispiele)
Zur quasi-mündlichen Kommunikation:
Unter dem Druck einer schnellen
Kommunikation passt sich die Schriftsprache entweder der gesprochenen Sprache
an oder wird noch dazu zu einer Art Kurzschrift. Z.B. ‚tel’ für ‚bin
telefonieren’. Oft benutzte Ausdrücke werden abgekürzt (das ist die Tendenz zur
Kurzschrift) und eine hypotaktische Satzstruktur oder auch Satzzeichen werden
vermieden (das ist eine Anpassung an die gesprochene Sprache). Oft werden Sätze
auch nicht beendet, sie müssen zu Ende gedacht werden - ebenfalls ein Tribut
unter dem Druck der Schnelligkeit und eine Anpassung, die die Chatsprache in
die Nähe gesprochener Sprache rückt. Meist wird auch nicht mehr zwischen Gross-
und Kleinschreibung unterschieden sondern durchgängig alles klein geschrieben.
Dies geschieht wiederum um die Konversation flüssiger ablaufen zu lassen,
schneller agieren zu können, Zeit zu sparen. Die Chatsprache wird damit zu einem
Medium, das, um der Geschwindigkeit und Verständlichkeit willen, danach strebt,
die jeweils dazu passenden Eigenschaften der gesprochenen und geschriebenen
Sprache zu vereinen. Eine Art Sprache mit optimaler ‚Performance’.
Beispiel: Protokoll des Chats beim
Versuch, den Fragebogen zu verteilen:
Ein Channel aus ‚Stammchattern’.
ChatCommunity
by worldweb
RaeuberWald Anwesende:(11/1)
[Canadier] [Nachtwind] [Booty] [DEgudeHESSE] [Melmoth] [seaworld] [schlosser]
[LadyTwitie] [Sporty15w] [mephistahe] [xxxpaar]...
Wenlok: Scrolling ist aktiv
Booty: hmmm was denn Q canadier
seaworld: hört nie wieder
einem lehrer zu ausser ich will es freiwiilig
Beispiel: hier werden keine
Satzzeichen verwendet und alles ist klein geschrieben, die grammatische
Struktur ist nicht ganz korrekt.
Nachtwind: so ist weg mel
Canadier: re meph
mephistahe: kicks@rechner
Beispiel: Aktionen werden
schräg geschrieben. Die Richtung der Aktion oder der Gegenstand, auf den sie
ausgeübt wird, wird mit @ angefügt. Es ersetzt somit den Artikel und
gegebenenfalls Richtungsadverbien (‚an’, ‚zu’, ...).
seaworld: sea you nw liebknufft
Melmoth: thx ;o)))) @ nw
Beispiel: Emoticons werden
verwendet, um Stimmungen auszudrücken. Dieses Emoticon zeigt die gehobene
Stimmung des Schreibers. Es lächelt (der Mund ist zu den ‚Augen’ (das
Semikolon) hin gekrümmt), ein ‚Auge’ zwinkert fröhlich (Semikolon unten).
Ausserdem wird ‚Thanks’ = ‚Danke’ mit „thx“ abgekürzt und der Name der
angesprochenen Person (Nachtwind) zu „nw“ abgekürzt. Das Insiderwissen erlaubt
solche Namensabkürzungen, die ähnlich gebraucht werden wie Spitznamen (z.B.
Thomas zu Tommy oder Oliver zu Oli oder Annegret zu Gretchen oder Anne).
Canadier: ih will nicht
sterben...
Nachtwind: reknuffelt sea
schlosser: grüßtdierunde
mephistahe: regrüsst den
schlosser
Melmoth: willst du's freiwillig?
Melmoth: sonst brauch ich
gewalt?? lol
schlosser: @meph
schlosser: @meph
Booty: ich erschieße alle
menschen auf der welt, außer canadier. Ich erschieße alle menschen auf der
welt, außer canadier *sings
seaworld: schaffts du nie@mel
Canadier: gut
Melmoth: ich will sterben,
erschiess mich zweimal... g
schlosser: grummel@leertastenetfunzt
Canadier: mel?
Melmoth: nenene.. lol
Beispiel: Das typischte
Chatterlächeln - „lol“.
Canadier: hahaha
Melmoth: Achja, ich brauche noch
irgendeine Einverständniserklärung und so g
mephistahe: ferien, wenn man
pleite ist, haben einen unglqaublichen nachteil... langeweile pur....
Melmoth: ist es OK, wenn ich
dieses Protokoll ins Netz stelle?
seaworld: mehel?
Melmoth: Jaha?
Melmoth: Augenklimper..
seaworld: das kann aber etwa
saduern@riesenriesenfragebogen
Melmoth: ...nur 58 Fragen....
g ist in Ordnung
Beispiel: Aktionen und Gestik
(hier g: Grinsen) werden in die Sätze eingeflochten, um lebhaftere
Kommunikation zu symbolisieren.
seaworld: nur lacht
seaworld: wie gütig - danke
Melmoth: Hey, soll doch
wissenschaftlich aussehen...
Melmoth: übrigens, dem Vorwort
zum Trotze
Wenlok: mephistahe meldet
sich kurz ab
Melmoth: es ist keine Gruppe,
die das auswertet, das bin nur ich..
quizas: huhu...winkawedel
schlosser:
sichmalwiederverabschiedentutdanochwasvorhat
Melmoth: aber es hört sich
wissenschaftlicher an, so
Melmoth: hi quizas
quizas: alias luna333
Melmoth: cu schlosser
schlosser: cu@melmoth
seaworld: okiqmel
quizas: winka@melmoth
Melmoth: rewinka
schlosser: winkt@waldundwechist
seaworld: grade geblendet
wird
quizas: hesse kennt mich wohl
gar nich mehr...grmpfl
Beispiel: Teilweise wird eine
Art ‚Comicsprache’ verwendet.
Melmoth: lol, whois
quizas?
seaworld: /search
sonnenbrille
Beispiel: Hier werden Befehle
des Chatraums ausgeschrieben, um Aktionen im richtigen Leben auszudrücken:
„sucht ihre Sonnenbrille“ - einfach, weil es kürzer und gewohnter ist und somit
schneller geht.
Melmoth: doesntknowhimorher
Beispiel: Wörter werden nicht
mehr voneinander getrennt, meist um ein Spässchen zu machen, aber auch, um in
Erschöpfungssituationen nicht so viel tippen zu müssen. Oftmals wird auch die
Sprache verändert. Manchmal werden in der Konversation ganze Sätze in Englisch
‚gesagt’. Das kommt vermutlich daher, dass die Befehlsstruktur des Chats auch
englische Befehle verlangt, um gewisse Aktionen durchzuführen. Dadurch ist es
wahrscheinlicher, zwischen den Sprachen zu wechseln.
quizas: vermisst
hintagrundfarbe...
quizas:
Melmoth: geht aber irgendwie, quiz,
ich weiss bloss net, wie
quizas: wie, wa sgeht
irgendwie...durchblick verloren hat...?
Canadier: was? wie? wo? warum?
Melmoth: die Hintergrundfarbe
kann man irgendwie an- oder einstellen
seaworld: geht im sep - aber im
channel?
Melmoth: Wer, wie, was, wieso,
weshalb, warum..
Melmoth: Irgendwie - ging doch
bei Chatworld auch immer
quizas: axo...ja...mir gefällt
das neue outfit ehrlcih gesagt übahuapt nich mehr so von CC
Melmoth: allerdings nur bei
jedem persönlich
quizas:
seaworld: schau mal in der reg
Melmoth: schulterzuck tja
Canadier: reg?
Melmoth: tut das
quizas: ach gott..die smilies
sind ja auch nich gerade das dollste..naja..
seaworld: schaut grummelnd auf
die uhr
quizas: trotzdem danggö..verneig
Melmoth: ist immer noch
schneller mit der Tastatur :o))))
Canadier:
Melmoth: n-a---g-u-t
Melmoth: schmoll
Wenlok: mephistahe meldet
sich wieder an
mephistahe: melm, was meinst du
mit soziale aktionen?
mephistahe: -m
Melmoth: knuddeln, grinsen, ...
Melmoth: dengeln, ...
mephistahe: ahso, muss ich die
alle aufzählen?
Melmoth: whatever
mephistahe: macht das ma net
Melmoth: Nicht alle, ne
Melmoth: nur deine
Lieblingsaktionen
Melmoth: die meistgebrauchten
Melmoth: oder so
Melmoth: wenn man will, kann man sich
austoben, an dem Fragebogen fg
Beispiel: Lange Sätze werden unter dem
Druck schneller Kommunikation in mehrere Teile aufgesplittet, um nicht schon
bei deren Erscheinen veraltet zu sein.
Die Stammchatsprache ist also geprägt von
entwickelter Chatsprache (Abkürzungen) und vom kommunikativen Ersatz realer
Aktionen (Schrägschrift, Emoticons). Dies wird vor allem durch ein großes
Insiderwissen und eine weitgehende Übereinstimmung der Interessen ermöglicht.
Es ist eher ein Mit-, als ein Gegeneinander.
Als Kontrast dazu zeige ich noch einmal
ein Protokoll eines Channels mit Nicht-Stammchattern. Es ist offensichtlich,
dass sich die Wahl der Themen unterscheidet. Partnerfindung und ‚lautes’,
aufdringliches Reden stehen im Vordergrund, weil es nur so noch möglich ist,
Aufmerksamkeit zu erregen und weil einfach die Interessen- und Publikumslage
anders ist. Eine ‚gesittete’ Fragebogenverteilung oder ein ständiges Anreden
mit Namenskürzeln wie im Beispiel oben ist hier nicht möglich.
ChatCommunity
by worldweb
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einfache Internet-Zugang für Top-Unterhaltung !
Halle2 Anwesende:(75/24) [Kely] [SabManu]
[MARTINE] [stevi21m] [cuteBOY18m] [angel014] [Dana1] [Handygirl12]
[DeepBlue14] [kleiner-Loewe][SlimShadysGirl] [FMulder] [sexgoettin16] [jocker]
[Murat1] [FRESHPRINCE14] [DoubleF] [LOLETA] [Traum-Typ] [Alpay16] [ENRICE18m]
[NINE][JustinK] [EvilDaisy] [chiIli] [SuesseBlume2001] [Aliyaah15]
[bobo145] [sexgott22] [Suedlaender22] [Leftside] [thomas21] [Desyre]
[BARBOS20][Zensie] [Maurice7] [Mountaingirl] [Sweetbrowny] [TQ18nrw]
[bellomarco21] [Jasminchen84] [SEXY-GIRL-17] [girlie2001] [erdal16]
[LadyLayla][KOSTIK] [Endorphin] [-NiceGuy-] [UnrealWarfare] [panikliese] [Meto]
[Turkei] [PrettyEvil] [BlueSky16w] [Red-Bull] [moose36]
[UGURboecegi][littleVamp] [Theft16] [Penywise] [gthgfrhgfhgf] [engaSandy14w]
[Heidie] [LUVER19m] [Iony] [Tkey] [biscotte] [taira] [Fogel] [askim14w]
[2freaky4u][--Laura--] [Melmoth] [D-I-L-A-R-A] [Megatits]...
Beispiele: Die Namen in
diesem Channel sind vornehmlich darauf ausgelegt, schnell (vor allem sexuelle)
Aufmerksamkeit zu erregen („sexgott22“, „SuesseBlume2001“, „Megatits“), die
wesentlichen Eigenschaften (Name, Alter, Geschlecht) eines Chatters
wiederzugeben („stevi21m“ = Stevan (?), 21 Jahre alt, männlich) oder sind
einfach nur Unsinn, der schnell in das Einlogfenster eingegeben wurde
(„gthgfrhgfhgf“).
Wenlok: Scrolling ist aktiv
Alpay16: WO WOHNST DU DEN
LOLETA: WUPPERTAL UND DU
?????
Beispiel: Hier wird oft für
andere Chatter unangenehme Großschrift verwendet, um mehr Aufmerksamkeit zu
erregen.
gthgfrhgfhgf: slm
Suedlaender22: woher??
cuteBOY18m: Aus der Nähe von
Duisbrug(NRW) Und du?
SuesseBlume2001: bin 17
TQ18nrw: Baby oh no ...aus NRW
Red-Bull: Hey Michaela! Na alles
fit?
Dana1: Köln
UGURboecegi: hi
LadyLayla: hallo
Du flüsterst zu ForestFairy: Jo?
jocker: 170cm ;braune kurze
haare ;65kg;selbst?
Mountaingirl: hallo ich will
chatten, wer läßt sich auf mein Niveau herab!!
ENRICE18m: ICH KOMME AUS
DORTMUND
BlueSky16w: will innen Ruhr
Suedlaender22: beschreib dich ma
Jasminchen84: Jemand aus POLEN
hier???
Heidie: Hi.
chiIli: was is nun mellow?
Penywise: LOLETA ICH KOMME AUS
WUPPERTAL!!!!!!!!!!!
Aliyaah15: in der nähe von
paderborn
LUVER19m: hi all,what`s up?
Turkei: Aliyha wie gehts
TQ18nrw: Oberhausen
bellomarco21: Das passt ja,!Du
bist Deutsche?
Wenlok: Tkey meldet sich kurz ab
Kely: WEN MEINST DU TQ
MARTINE: Was
Martiiiiiiiiiiiinnnnnnnnnnnaaaaaaa????
timur00: flüstert: bin 26
lust dich mit mir zu unterhalten?
SEXY-GIRL-17: COOL
UnrealWarfare: ...geht weiter...
bobo145: süsser boy sucht girl
zwischen 16-18 wer chatten will dannn 1111111111111
Dana1: WIE IST DEIN NAME???
Wenlok: Tkey meldet sich wieder
an
gthgfrhgfhgf: bizim köylü
varmi
Beispiel: Hier gibt es alle
Arten von Chattern, auch Leute, die auf türkisch Chatten wollen. In dieser
ungeordneten Masse an Kommunikation ist dies häufig zum Scheitern verurteilt,
deswegen gibt es auch dafür kleinere Themenchannels.
Zensie: Aus Marburg wie schaust
du aus????
ForestFairy flüstert:
naja tut man denn spionieren???
SuesseBlume2001: ja wieso?
LOLETA: COOL
panikliese: 111
Endorphin: moin willjemand
chatten
BMW-M7:
SWEETBROWNY?????????????????!!!!!!!!!
Traum-Typ:
111111111111111111111111111
DoubleF: Mountaingirl!
TQ18nrw: und du???
kleiner-Loewe SUCHT HEISSES
GIRL!!!
Alpay16: WIE ALT BÄBY
Murat1: hei heidi wie geht es dir
Theft16: ....
Dana1: NEIN
SEXY-GIRL-17: WELCHE
NATIONALITÄT???
Penywise: JA NE!!!!!!!
Jasminchen84: Jemand aus POLEN
hier???
Suedlaender22: tufan und deine?
Du flüsterst zu timur00: Und? ;o)
Maurice7: wo kommst du her
und wie alt
Beispiel: Das obige herauszufinden
ist das Hauptthema der „großen“, überfüllten Channels. Hat man jemanden
gefunden, zieht man sich normalerweise in ein Separee zurück, da die
gesamte hier aufgezeichnete Kommunikation in ca. 15 Sekunden stattfand. Dadurch
ist mehr als eine pure Kontaktaufnahme nicht möglich. Natürlich steigt auch der
Druck, Aufmerksamkeit zu erregen.
HotLatino18: IST HIER EIN
HEISSES GIRL????
bellomarco21: Ich bin Italiener!
Penywise: WOHER GENAU?
ENRICE18m: LOLETA WIE ALT
BIST DU
Aliyaah15: bist du zufällig
türke bin 15
NRWSEXYBOY: WELCHES GIRL WILL
CYBERSEX ????
Beispiel: Cybersex: Das ist
dann das, was häufig in den Separees stattfindet. Wieder Großschrift für
maximale Aufmerksamkeit und die ‚message’ auf das wesentliche reduziert.
Allerdings ist es besser, die Leute auch hier mit Namen anzusprechen, einfach,
um klarzumachen, wer gemeint ist, wie ENRICE18m weiter oben.
Turkei: Aliyha bist du TÜRKIN
SlimShadysGirl: WER WILL
CHATTEN???
bobo145: hallo traum typ
BlueSky16w: langweilz
LOLETA: WIE ALT
Beispiel: LOLETA antwortet
auf die Frage von ENRICE18m. Allerdings antwortet er ihr nicht mehr, weil sie
versäumt hat, mit seinem Namen Aufmerksamkeit zu erregen. Auch NRWSEXYBOY
scheitert, weil er zu allgemein vorgeht.
LadyLayla: woher ???
TQ18nrw: halb türke
SEXY-GIRL-17: ICH KOMME AUS
HANNOVER
TheDJ: Huhu...welches süße
Mädel ab 16 hat Lust auf spontanen realen Sex? ;-)
Beispiel: Das könnte ein
‚Stammchatter’ sein, der sich austoben will. Warum? Der Name ‚TheDJ’ ist
normalerweise so populär, dass er schon in einem frühen Stadium des Chats,
wahrscheinlich vor einigen Jahren, registriert wurde, d.h. für andere nicht
mehr verwendbar ist. Ausserdem verwendet er Emoticons („;-)“) und kann selbst
im hektischen Großchat noch die Ruhe für einen relativ normalen Satzbau bewahren.
angel014: WER WILL
CHATTEN??PRESS 456
DeepBlue14: 1,73m, rot gefärbte
Haare, grüne Augen,60kg
Sternchenpower: Hallo Leute wer
hat lust zu chatten?
Aliyaah15: ja
SuesseBlume2001: mein Vater ist
Italiener
--Laura--: Hallo
Du flüsterst zu ForestFairy: Chatprotokolle ;o)
Penywise: 20 und du?
cuteBOY18m: So 1,80 gross,
braune Haare, grüngraue Augen und eine sehr Sportliche Figur. Und du?
Dana1: AUS WELCHEM LAND KOMMST
DU??? ITALIEN???
Bankboy: suche süßes blondes
Single-Mädel ab 17 Jahren
Jasminchen84: Ist denn kein Boy
aus POLEN??????????????????????
HotLatino18: 456
Wie man sehen konnte, wurden in diesem
Channel aufgrund des fehlenden Insiderwissens keine Namenskürzel verwendet.
Etwas, das in kleinen Channels mit relativ festem Publikum gewöhnlich geworden
ist. Noch dazu kommt, dass keine schräggeschriebenen Aktionen verwendet
werden. Es besteht einfach keine Notwendigkeit dafür und es hat keine Chance
als Kommunikation ‚anzukommen’, in einer Umgebung, in der oft sogar Großschrift
mit sexuellem Inhalt verwendet wird. Dagegen haben kleine, unauffällige
Aktionen keine Chance in der Aufmerksamkeitsskala. Genauso ist es mit
Abkürzungen für Aktionen, wie z.B. lol oder Emoticons. Ein Großteil der
Kommunikation ist oft wegen der Unerfahrenheit der User zum Scheitern
verurteilt oder findet einfach keine Antwort, weil er zu allgemein gehalten
ist.
Gelegenheitschatter haben also im
Gegensatz zu Stammchattern mit vielen weitergehenden Kommunikationsproblemen zu
kämpfen und haben deswegen auch eine völlig andere „Sprachkultur“, die zu einem
Großteil auch in ihren Zielen, nämlich vor allem der schnellen Partnerfindung,
begründet liegt. Daraus ergibt sich auch, dass der Gelegenheitschat eher ein
„Gegeneinander“ ist - ein Konkurrieren um das begehrte Gut Aufmerksamkeit.
Zum
Konzept der Kommunikationsstränge (weiterführende, themafortführende
Kommunikation, wie vor allem bei Stammchattern) gibt es eine ausführliche
Untersuchung im Artikel von Angelika Storrer
„Getippte Gespräche oder dialogische Texte? Zur kommunikationstheoretischen
Einordnung der Chat-Kommunikation.“
(Preprint:
erscheint in: Lehr, Andrea;
Kammerer, Matthias et al. (Hg.): Sprache im Alltag. Beiträge zu neuen
Perspektiven in der Linguistik. Herbert Ernst Wiegand zum 65. Geburtstag
gewidmet. Berlin u.a.: de Gruyter)
Dort gibt es auch noch einmal eine kleine
Einführung in die „Unsichtbarkeit der Textproduktion“, das „Mühlen-Prinzip“ und
den Chat allgemein.
Vgl. auch: „Analysing the Communication in Chat Rooms: Problems of Data Collection“ von Claudia Orthmann.
C: Zu einigen technischen Aspekten und
deren Wirkung auf das Publikum
Der reine Textchat besteht aus einem
Textfenster, einer Navigationsschiene durch Channels, die meist Werbung enthält
und einem Eingabefeld, das unabhängig vom Textfenster existiert. Eine denkbar
einfache Methode, zu kommunizieren. Ist es nicht vielleicht auch langweilig,
gerade heute, wo grafische Chats schon seit einigen Jahren aktiv am
Netzgeschehen teilnehmen und immer mehr Publikum an sich ziehen? Insofern
stellt sich die Frage:
Warum ist Text-Chat (immer noch) so
populär?
Text-Chat ist die wohl einfachste
Methode, im Internet direkt mit vielen Leuten gleichzeitig zu kommunizieren.
Die Textdarstellung erlaubt, theoretisch beliebig vielen Leuten gleichzeitig
zuzuhören, die einzigen Grenzen sind die eigene Aufnahmefähigkeit und die
Anzahl der Personen im Chat. Das ist etwas, was der Textchat ‚normaler’
Kommunikation voraus hat. Im richtigen Leben ist es nur möglich, sich auf
einen, zwei, vielleicht auch 4 Gesprächspartner einzustellen, aber selbst dann
wird es schwierig, wenn eine solche Kommunikationsdichte wie im Chat entsteht.
Sprich: Wenn alle durcheinanderreden. Im Chat ist es möglich, mehr Information
gleichzeitig aufzunehmen und zu verarbeiten, es besteht somit auch mehr
Auswahl, zu antworten und auch Gelegenheit, sich mehr zu äußern. Das macht den
Chat häufig dynamischer als ein Gespräch zwischen zwei Personen, allerdings
nimmt mit der Anzahl an möglichen Gesprächspartnern auch die Notwendigkeit zu,
Aufmerksamkeit zu erregen, so dass der Textchat auch häufig oberflächlicher
ist, als ein persönliches Gespräch. Eine Tatsache, die durch die grössere
Offenheit im Chat ausgeglichen werden kann, aber nicht muss. Wenn man will,
kann man sich aber immer noch in ein Separee zurückziehen und ein ‚klassisches’
Gespräch beginnen.
Diese Einfachheit bietet allerdings auch
Raum gerade für Gelegenheitschatter, so in den Chat hineinzufinden. Es ist
nahezu kein Fachwissen nötig, um im Chat zu kommunizieren. Wichtige Befehle
können durch einen Klick auf die Hilfeleiste erfahren werden. Eine
Registrierung ist nicht nötig. All das trägt dazu bei, dass der Textchat
ständig einen enormen Zustrom an Publikum hat, allerdings auch, aufgrund der
Eigenheit des Gelegenheitschats, eine hohe Populationsfluktuation. Man kann
sagen, dass allein schon der Gruppendruck, wiederzukommen, der entsteht, wenn
man im jeweiligen Channel ‚Freunde’ findet, ausreicht, um eine gewisse Anzahl
des grossen Publikumszustroms auch im Chat zu halten.
Grafische Avatarchats haben demgegenüber
den Nachteil, dass wie im richtigen Leben eine Kommunikation mit mehreren
Partnern Probleme hervorruft. Umso mehr, als dabei oft auch auf die Gestik der
anderen eingegangen werden muss, um ihr Kommunikationssignal möglichst komplett
zu verstehen. Bei künstlicher, grafischer Mimik geht auch oft das natürliche,
schnelle, spontane Interaktionserlebnis des Textchats verloren. Ein Problem,
das J. Cassell und H. Vilhjalmsson in ihrem Artikel „Fully Embodied Conversational Avatars:
Making Communicative Behaviors Autonomous“ gut beschrieben haben. Dort wird
auch gezeigt, dass schon ein einziges Gespräch in einem grafischen Chat viel
Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.
Ein kleiner Beweis, dass auch der alte
„Internet Relay Chat“ noch populär ist, ist auf der Website von Kajetan Hinner zu finden, der dazu einige Statistiken
aufgestellt hat. Statistiken über die Teilnehmerzahlen von Chatcity und anderen
Chats gibt es dort. Bei Chatcity chatten
oft über 1000 Teilnehmer gleichzeitig, damit ist es wohl einer der populärsten
deutschen Chats, wenn nicht sogar der populärste.
Der Textchat ist also aufgrund seiner
Einfachheit, seiner Spontaneität und der Möglichkeit, mit noch mehr Leuten
gleichzeitig zu kommunizieren, immer noch so populär.
D: Einige mythische Aspekte, die
einprägsamsten Zitate
1. Mythische Aspekte der Namen
Von der Gruppe der Stammchatter wurden
vor allem Namen aus Filmen, Romanen, aber auch eine überdurchschnittlich hohe
Zahl an mythischen Namen verwendet. Ein Chatter gab an, den Namen eines
germanischen Wolfsgottes zu verwenden, ein anderer, den eines Propheten aus der
Bibel, wieder eine andere, den Namen einer römischen Göttin, etc, etc..
Insofern kann man davon ausgehen, dass sich die Chatter sowohl mit ihren Namen
identifizieren, als auch in eine Rolle schlüpfen wollen, die dem gewählten
Namen nahekommen kann. Der Chatter mit dem Wolfsnamen hatte zum Beispiel die
Eigenheit, ständig im Chat zu knurren, andere kraulten ihn dann, so passte er
sich in diese Rolle ein und war abwechselnd Mensch und - „Wolf“.
Den Namen gemeinsam ist, dass es eine
große Tragödie darstellt, wenn einer von ihnen verloren geht, etwa durch
technische Probleme. Während der Untersuchungszeit kam dies einmal vor, der
Server hatte durch einen technischen Defekt alle Nicknames der registrierten
Chatter gelöscht. Eine Sache, auf die auch in den Fragebögen ausführlich
eingegangen wurde. Bei den Wünschen stand unter anderem auch „Ich will meinen
Nickname wiederhaben!“ an vorderen Plätzen.
Verwandtschaftsbeziehungen im Chat:
„Was
sehen Sie als den Hauptunterschied diesbezüglich von Realität und Netz
an?
in den altersangaben, meine grosstante ist 6 jahre älter als ich, mein
sohn ist 42 jahre älter als ich, mein vater auch nur um die
8 älter...also
in
rl, aber dennoch ist er mein sohn, sie meine tante..usw.“
„Haben sie
Online-Beziehungen? gehabt und habe noch.
Haben
diese reale Vorbilder? ich habe eine adoptivmama, eine schwester und
einen
ex-verlobten oder sowas ähnliches.“
Identitätsverschiebungen:
Was
kennzeichnet diese Art? Die mit zig Namen auf einmal Chatten, und sich als
etwas darstellen, was sie nicht sind.“
Nicht klar,
inwieweit so etwas ernst gemeint ist:
„Wie
viele Stunden würden sie gerne täglich im Netz/Chat verbringen?
24“
„Glauben
Sie, daß Sie zu wenige Stunden im Netz verbringen konnen? selbst zu
viele
stunden sind fur mich zuwenig :o)
Warum?
... kann nie genug sein, suchtigseis ;)
Wie
viele Stunden wurden sie gerne taglich im Netz/Chat verbringen? oh
gott,
soll ich das nun realistisch sehen oder so wie ichs gerne hatte?
*lach“
Über
Chatbeziehungen:
„Haben
sie Online-Beziehungen? ja
Haben
diese reale Vorbilder? Ehe/Verlobung/Bund/Freundschaft? ehe
Was
sehen Sie als den Hauptunterschied diesbezuglich von Realitat und Netz
an?
das man nur im netz verheiratet ist und ansonnsten nicht mal ne beziehung
laufen muss
Was
fiel Ihnen dabei besonders bei anderen auf? sie nehmen diese beziehung nicht
wirklich ernst
Was bei Ihnen selbst? nichts“
Über
die Wahrheit:
„Sind
andere Ihnen gegenuber ehrlich bezugl. personlicher Angaben? LOL
selten
blode frage, waren sie nicht ehrlich..wurde ich das merken wenn ich
sie nicht real kenne?! ;))“
Über Chat-Identität:
sie
können so sein wie sie es sich vielleicht in rl nicht trauen zu sein,
öft
sind sie lebhafter, innovativer..und auch glücklicher, ichdenke
tweilweise
ist auch eine art realitätsverdrängung dabei..leider
identifizieren
sich auch sehr viele menschen mit dem chat...als einzige
realtität
....“
„Haben
Sie manchmal Probleme bezüglich Ihrer virtuellen Identität?
sind hier spezielle probleme gemeint? emotionale? reale? ... ich denke die virtuelle identität ist genau so wie die reale ein teil von mir und meines ganzen... wenn es probleme in der einen welt gibt, gibt es diese meist auch in der anderen... vielleicht nur in anderer form... jede identität hat ihr eigenleben und ist aber dennoch an die andere gebunden... so ergibt sich ein wirrwarr aus dem was ich seigentlcih sagen wollte.... was war nochmal die frage? *frinzt*“
E: Der Schluß
Wir haben gesehen, dass es im großen und
ganzen zwei Sorten von Chattern gibt. Der untersuchten Gruppe der Stammchatter
bedeutet ihr virtuelles Leben sehr viel. Es ist zu einem festen Bestandteil
ihres Lebens geworden, das ihr Denken und ihre Lebenseinstellung beeinflußt.
Warum so viele Leute chatten, bleibt letztlich nie ganz geklärt, denn dafür
gibt es individuelle Gründe. Daher möchte ich ein Schlußwort aus den Fragebögen
verwenden:
„sucht? leidenschaft?
sehnsucht? eine magische kraft, die mich ins netz zieht? oder vielleicht eher
eine kraft, die mich aus der realität hinein ins net drängt... es gefällt mir
und ich fühl mich gut dabei.. es ist interessant und langweilig zugleich... man
kann es nicht beschreiben... es ist einfach so... es ist!“
Eine kleine Linkliste:
Chatcity:
‚Der’ deutschsprachige Textchat
Ultima
Online: Ein Online-Rollenspiel
mud.de:
Online-Textcommunities
ciao:
Meinungsforum
GMX
: ChatCommunity
Yahoo!:
Suchmaschine und Nachrichtenzentrum
Räuberwald und Zauberwald: ChatCommunities
ICQ: „Meet
friends online“ - Programm
Der Mensch als Maschine (I): Flexibilisierung der Subjekte und Härtnäckigkeit des Technikdeterminismus (Klaus Schönberger)
Textuality in
Cyberspace: Muds and Written Experience (Jeffrey R. Young)
Getippte Gespräche oder dialogische Texte? Zur kommunikationstheoretischen
Einordnung der Chat-Kommunikation (Angelika Storrer)
Analysing the Communication in Chat Rooms: Problems of Data Collection (Claudia Orthmann)
From <Bonehead> to <cLoNehEAd>:
Nichnames, Play, and Identity on Internet Relay Chat (Haya Bechar-Israeli)
Statistics on IRC (Kajetan Hinner)